Was ist ein Foto?

Die Künstlerin Isabelle Wenzel liebt den Selbstauslöser ihrer Kamera und das Unvorhersehbare. Ihre Bilder zeigen eine Welt, in der Subjekt und Objekt kaum zu unterscheiden sind und in der auch mal was runterfällt.

Elberfeld Nordstadt. Dachgeschoss-Wohnung im Altbau. Typisch Wuppertal irgendwie. Hier arbeitet die Künstlerin Isabelle Wenzel. Und hier wohnt sie zusammen mit Ehemann Michel und Tochter June. Vor rund drei Jahren, pünktlich zur Geburt, war die gebürtige Wuppertalerin aus den Niederlanden in ihre Heimatstadt zurückgekehrt. Auch wegen der Familie. Nach ihrem Studium, das sie 2010 an der Gerrit Rietveld Academie Amsterdam abgeschlossen hat, ist einiges passiert. Zahlreiche Stipendien, internationale Einzel- und Gruppenausstellungen sowie diverse Auftragsarbeiten. Im Mai hat sie 13 ihrer Werke beim Fotofestival „Contact“ in Toronto ausgestellt. Im Juli waren ihre Fotos beim PACT Zollverein in Essen zu sehen und Mitte September wird sie auf dem Fotofestival „Unseen“ in Amsterdam vertreten sein.

Pendelt zwischen Wuppertal und Amsterdam: Selbstporträt der Künstlerin
Pendelt zwischen Wuppertal und Amsterdam: Selbstporträt der Künstlerin

„Hier in Wuppertal fühle ich mich ein bisschen wie in einem Kokon. Das war in Amsterdam anders. Da habe ich mich öfter mit anderen Künstlern ausgetauscht, was ich natürlich auch gerne mache. Aber hier habe ich mehr Ruhe zum Arbeiten“, sagt die 33-Jährige. Mindestens einmal im Monat fährt sie nach Amsterdam und trifft sich mit ihrem Galeristen oder plant neue Projekte.

Foto, Performance, Skulptur

Wenzels Bilder entstehen grundsätzlich mit dem Selbstauslöser. Zehn bis fünfzehn Sekunden gibt sie sich selbst, um ihren Körper, Papierhaufen, Vasen, Bücher oder andere Utensilien zu positionieren und zu balancieren. Der Zeitdruck gehört dazu. „Ich weiß immer ungefähr, was ich machen will. Durch den automatischen Auslöser bekommen die Bilder aber etwas Unvorhersehbares, etwas Ungeplantes“, so die Künstlerin. „Es gibt keinen Masterplan, alles findet eher intuitiv statt und entwickelt sich dann allmählich“.

Sie ist Fotografin, Modell und Betrachter gleichermaßen. Ihr Körper wird zur Skulptur, die sie – auch dank der akrobatischen Ausbildung während ihrer Kindheit – nach Belieben modellieren und in Szene setzen kann. Diesen Arbeitsprozess hat sie Anfang des Jahres in einem Musikvideo für den Song „Open Ogen“ (Offene Augen) der niederländischen Sängerin Stefanie Janssen auf Film gebannt.

Der Großteil ihrer Werke entsteht im heimi­schen Studio – erst seit kurzem arbeitet sie auch unter freiem Himmel. „Ich habe jetzt fünf Jahre lang drinnen gearbeitet. Aktuell mache ich viel draußen. Das ist ziemlich ungewohnt, vor allem für die Menschen, die mich zufällig sehen. Die halten mich wahrscheinlich für bescheuert, wenn ich mich 30 Mal auf den Boden fallen lasse. Die kennen ja auch das Resultat nicht“, sagt Isabelle Wenzel und lacht. Direkt angesprochen wurde sie aber bislang noch nicht.

Happy in Wuppertal

Auch wenn Wenzels Arbeitsweise stark an Performance-Kunst erinnert, geht es ihr letztlich doch um das fertige Bild: „Fotos gelten heute immer noch als Dokumente. Damit spiele ich. Obwohl wir alle wissen, wie man Bilder heute manipulieren kann, schwingt doch immer das Gefühl mit, das ist ein Beweisstück, da hat was stattgefunden“, so die Künstlerin. Vor kurzem habe sie beispielsweise eine Gruppe von Jugendlichen beobachtet, die sich in einer stillen Runde in ihre Smartphones vertieft hätten. Als plötzlich jemand auf die Idee kommt, ein sogenanntes Selfie zu machen, posieren alle voller Enthusiasmus vor der Linse. „Für einen Augenblick waren dann alle super happy. So nach dem Motto: Guck mal, was wir hier Tolles machen“. Sie selbst kehrt dem Konzept der Selbstdarstellung wortwörtlich den Rücken: „Ich zeige keine Identität und man kann meist auch nicht erkennen, wo die Bilder aufgenommen wurden. Das gibt dem Ganzen einen surrealen Charakter.“

Ganz unwichtig sind ihr Orte allerdings nicht. Ein Beispiel dafür: Als sie im letzten Jahr eine Fotostrecke für das internationale Modemagazin „Modern Weekly China“ machen sollte, formulierte sie konkrete Arbeitsbedingungen: „Ich kann mein Ding machen – und das Shooting findet hier statt. Das gesamte Team ist dann zu uns nach Hause gekommen. Eine Stylistin aus Paris, eine Visagistin aus Eindhoven, ein Hairstylist aus London und natürlich die Models. Die waren alle total happy, mal nach Wuppertal zu kommen.“