Hoch hinaus

Anonymität, Kriminalität, Massenabfertigung – Hochhäuser genießen nicht gerade den besten Ruf. Die Siedlung am Eckbusch will so gar nicht in dieses Schema passen. Ob das an der guten Aussicht liegt?

Nein, eine Schönheit ist sie nicht. Grau, wuchtig und unübersehbar stehen die Betonklötze nebeneinander auf dem grünen Hügel. Aus der Ferne sind die Hochhäuser am Eckbusch eine Landmarke, die aus der Ferne als praktische Orientierungshilfe taugt. Auch weil Wuppertal in Sachen Hochhäuser ansonsten eher zurückhaltend ist. In der Siedlung wohnen zurzeit über 4500 Menschen, denen eine gute Aussicht wichtiger ist als drei Meter hohe Altbaudecken mit Stuck. Der ganze Komplex ist auf Effizienz ausgelegt, so wie es sich für Hochhaussiedlungen gehört. Und dennoch: Hier lebt man gerne, hier gibt es noch so etwas wie nach­barschaft­liche Gemeinschaft. Ein Gemeinde­zentrum, Theater, ein Lesekreis, regelmäßige Treffen und Feste, ein eigener Bürgerverein. Man grüßt sich, man kennt sich. Ein herzliches Klima, das so gar nicht zu dem Ruf von Hochhaussiedlungen passen will.

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Foto: Süleyman Kayaalp

Ein Bewohner der ersten Stunde ist Horst Ernestus, ehemaliger Direktor der Wupper­taler Stadtbibliothek. Im November 1972 ist er mit seiner Frau Ursula und den zwei acht und zehn Jahre alten Söhnen von Köln nach Wuppertal gezogen. Äußere rechte Klingelreihe, die Aufzüge geradeaus durch, siebter Stock, erklärt mir Ernestus am Telefon. Diese Beschreibung ist nicht ganz unwichtig. 190 Klingelschilder befinden sich am Eingang. Da ist Orientierung eine echte Hilfe. Der 90-jährige ist Hobbyfotograf und präsen­tiert stolz seine ganz private Ausstel­lung im Treppenhaus auf seiner Etage. Es sind Detailaufnahmen seiner Modelschiffe – früher war er bei der Marine –, Natur­szenen und Fotos von der Umgebung, die Ernestus von seinem Balkon aus gemacht hat.

Als er sich vor über 40 Jahren dazu entschied, hier eine Wohnung zu mieten, ging es vor allem um die Kinder. „In Köln haben wir auch in einem Hochhaus gelebt und da waren immer sehr viele Kinder, mit denen unsere Söhne spielen konnten. Hier waren am Anfang aber fast ausschließlich junge Ehepaare“, erinnert sich Horst Ernestus. Doch die spannende neue Umgebung war ein guter Ersatz für die fehlenden Spielkame­raden. Gemeint sind die riesige Baustelle direkt vor der Tür und das kleine Wäldchen, auf das man vom Balkon aus blickt. Horst Ernestus erinnert sich noch ganz genau: „Am Anfang war hier Chaos. Keine Infrastruktur, nur eine Telefonzelle und keine richtige Straße, sondern nur die schlammige Baustellenzufahrt. Als meine Frau mit ihrem Auto an der Tankstelle Nevigeser Straße ankam, sagte der Tankwart ‚Wenn Sie nicht ein Kölner Kennzeichen hätten, würde ich sagen, Sie kommen vom Eckbusch’.“

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Gekommen, um zu bleiben: Der Pensionär zog einst wegen der Kinder zum Eckbusch (Foto: Süleyman Kayaalp)

Doch die Vorteile überwiegen für das Ehepaar Ernestus. Damals wie heute. Es gibt zum Beispiel genügend Aufzüge, sodass immer gewährleistet ist, dass mindestens einer funktioniert – das macht die Wohnungen altersgerecht. Die Gemeinschaft der Bewoh­ner ist herzlich. Und vor allem natürlich: diese unglaubliche Aussicht. Die Siedlung am Eckbusch ist die höchste Wohngelegenheit in ganz Wuppertal. Während viele Nord­stadt-Bewohner oft nicht weiter blicken können als bis zum Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite, gönnt man sich hier gerne einen weit schweifenden Blick in Richtung Düsseldorf. „Das Schattenspiel im Wohnzimmer, wenn die Sonne morgens hier rein scheint, ist wirklich toll“, schwärmt Horst Ernestus.

Wir fühlen uns hier wohl

Nur eine Sache bereitet dem Ehepaar Sorgen: die Nahversorgung. „Früher gab es mal einen Bäcker. Insgesamt fünfmal hat der Besitzer gewechselt, inzwischen ist er ganz weg“, erzählt Ursula Ernestus. Auch einen Lebens­mittelmarkt oder eine Drogerie sucht man hier oben vergeblich. Ein Problem, das allerdings den gesamten Katernberg betrifft. Aufgrund der schwierigen Busverbindungen – vor einigen Jahren wurde der gerne genutzte Schnellbus in die City eingespart – sind die Bewohner meist aufs Auto angewiesen. „Die alternative Busverbindung dauert doppelt so lange“, erklärt Horst Ernestus. Ein Grund, um der Siedlung den Rücken zu kehren, ist das für ihn aber nicht. „Wir fühlen uns hier sehr wohl“, sagt er voller Überzeugung. Er ist ganz offensichtlich nicht der einzige „Eckbuscher“, der das so sieht.