Spielraum

Als Doris Plischke entführte Tinka Fürst bei ihrem Soloabend die Zuschauer in die Welt der Videoblogs. Aber auch vor ausgewachsenen Filmkameras fühlt sie sich wohl. Immer mit dabei: eine große Portion Idealismus.

Die Gänge sind eng und verwinkelt. Der Weg kommt einem länger vor, als er in Wirklichkeit ist. Überall weiße Wände, graue Stahltüren. Wir befinden uns im Erdgeschoss des Wuppertaler Opernhauses. Backstage. Von Bühnenluft und Glamour ist hier nichts zu spüren. Ankunft im Proberaum Drei. Hier sind die Wände schwarz, schlichte weiße Linien auf dem Boden markieren den „Spielraum“. Hinter einem schweren, dunkelgrauen Vorhang befindet sich eine Wand. Von oben fällt etwas Tageslicht durch die Deckenfenster. An diesem Ort proben Tinka Fürst und ihre acht Kolleginnen und Kollegen vom Schauspielensemble ihre Stücke. „Die Oberlichter sind klasse“, sagt sie. „Auf den meisten Probebühnen, die ich kenne, gibt es nur Kunstlicht.“ Vor anderthalb Jahren ist die heute 27-Jährige für ihre Anstellung im Ensemble nach Wuppertal gezogen. Geboren und aufgewachsen ist sie in Berlin. Am Max-Reinhardt-Seminar in Wien hat sie die Schauspielerei gelernt, anschließend lebte sie in Hamburg und zwischendurch arbeitete sie als Flugbegleiterin. Die Schauspielbühne hat sie durch ein glückliches Missverständnis für sich entdeckt: „Ich habe als Kind getanzt und wollte zu einem Ballett-Casting im Friedrich­stadt-Palast. Ich bin aber dann aus Versehen bei der Schauspielgruppe gelandet“, erzählt Tinka Fürst und lacht. „Hinterher dachte ich dann ‚Hey, da kann man sprechen und tanzen, das ist ja viel besser.’ Da war ich zwölf.“ Der Startschuss für ihren Weg in Richtung Schauspiel.

„Ich mag Wuppertal. Hier ist zwar alles etwas kleiner als in Berlin, dafür sind die Menschen irgendwie interessierter. Ich habe schon jede Menge coole Leute kennengelernt“, so Tinka Fürst. „Leider wissen viele Wuppertaler gar nicht, dass es die neue Spielstätte gibt. Das ist schon ziemlich trau­rig.“ Der Neustart im kleinen Theater am Engelsgarten gestaltete sich für das Ensemble und die Intendantin Susanne Abbrederis etwas holprig. Doch inzwischen läuft es runder. Es gab einige Publikumserfolge, die dann auch verlängert wurden. „Man merkt langsam, dass wir immer mehr angenommen werden. Und dass sich die Menschen freuen, dass es das neue Schauspiel gibt.“

Tatort

Tinka Fürsts wichtigste Arbeit während ihrer ersten Spielzeit war die Hauptrolle in Lessings „Minna von Barnhelm“. Die meisten Reaktionen bekam sie allerdings für eine andere, in der sie zur selben Zeit zu sehen war: als Mordopfer im Tatort. Zwei Drehtage waren dafür angesetzt. Eine sehr interessante aber vergleichbar kleine Rolle für die Schauspielerin. „Als das gesendet wurde, habe ich gerade als Minna geprobt und war total stolz. Das war schon etwas absurd, als ich dann zig SMS wegen dem Tatort bekommen habe“, erinnert sie sich.

YouTube

Am liebsten arbeitet Fürst selbst an ihren Stücken mit. Sehen konnte man das unter anderem während ihres Soloabends – der sogenannten Visitenkarte der Schauspieler –, an dem sie intensiv mitgearbeitet hat. Es ist eine Neuinterpretation des Romans „Das kunstseidene Mädchen“ von Irmgard Keun. In der Aufführung transformiert sie die Erlebnisse des Berliner Mädchens Doris aus der Weimarer Republik der Dreißigerjahre in das heutige Umfeld der „Generation YouTube“. Zwischen Selfies und Videoblog erzählt sie von ihren Gefühlen und Erlebnissen. Über eine Livekamera spricht Doris mit dem Publikum, das die Szenerie aus dem Blickwinkel eines YouTube-Zuschauers beobachtet. Das künstlerische Konzept kam an: „Ich fand es schön, dass auch viele ältere Menschen von der Aufführung begeistert waren. Zumal diese Generation mit der Form ja gar nicht so richtig vertraut ist“, erzählt sie.

Die Protagonistin Doris Plischke hat im Rahmen der Aufführung sogar einen eigenen YouTube-Kanal spendiert bekommen. Für Tinka Fürst selbst kommt das aber nicht infrage: „Ich habe noch das Leben ohne Internet mitgekriegt und bin auch sonst nicht besonders aktiv im Netz. Ich würde mein Privatleben nie auf YouTube ausbreiten. Aber diese Selbstdarstellung in den sozialen Medien ist ein Phänomen, das nicht mehr wegzudenken ist. Das wirkt sich auch auf unsere Sehgewohnheiten aus.“ Der digitale Raum ist für Fürst aber auch aus einem anderen Grund interessant: zur Vorbereitung auf ihre Rollen: „Ich versuche immer in die Welt meiner Figuren einzutauchen. Ich frage mich zum Beispiel, was würde meine Figur anziehen? Was macht sie, wenn sie alleine ist? Welche Musik hört sie? Im Netz kann ich das Umfeld ganz gut kennenlernen, zum Beispiel in Foren.“

Klar ist: Schauspielerei bedeutet viel Arbeit. Vorbereitung, Recherche, Texte lernen, Auf­tritte. Ohne eine große Portion Idealismus funktioniere das nicht, erzählt Fürst. „Ich mache meinen Beruf ja nicht, um viel Geld zu verdienen. Ich finde, es ist ein Privileg, die Möglichkeit zu haben, viele verschiedene Rollen zu leben. Das ist toll.“